Platzt der Traum von den Modellprojekten?

Platzt der Traum von den Modellprojekten?

Platzt der Traum von den Modellprojekten?

Wie die BLE den wissenschaftlichen Umgang mit Cannabis ausbremst

Ein Gastbeitrag von Dr. Marcus Geschwandtner und Dr. Sebastian Sobota

Mit der Forschungsklausel in § 2 Abs. 4 KCanG verband die Branche große Hoffnungen: erste kommerzielle Vertriebsstrukturen, belastbare Daten und ein Schritt in Richtung regulierter Freigabe. Doch nun zeigt sich, zwischen Gesetz und Genehmigung liegen auch hier Welten.

Eine umfassende Legalisierung von Cannabis war früh vom Tisch. Und auch die stattdessen versprochene modellhafte Erprobung eines kommerziellen Vertriebs ist nicht in Sicht. Daher rückt eine eher versteckte Norm in den Fokus, die spät im Gesetzgebungsverfahren noch ergänzt wurde (s. dazu bereits Oğlakcıoğlu/Sobota medstra 2024, 341): Nach § 2 Abs. 4 KCanG können fast alle verbotenen Umgangsformen ausnahmsweise „zu wissenschaftlichen Zwecken“ erlaubt werden. Die Hoffnungen auf eine „2. Säule light“ wuchsen noch einmal, als im Dezember 2024 die Bundesanstalt für Landschaft und Ernährung (BLE) an die Stelle des nach BtMG zuständigen Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) trat (KCanWissZustV v. 10.12.2024). Doch vor Kurzem sorgte ein Anhörungsschreiben ebendieser Behörde für Ernüchterung. Darin wird der Antrag zwar noch nicht abgelehnt, aber die Erlaubnis rückt vorerst in weite Ferne. Wie ist die Argumentation der BLE rechtlich einzuordnen?

Der Antrag

Antragsteller ist eine norddeutsche Anbauvereinigung in der Rechtsform eines e.V. Zusammengefasst ist eine lokale Verkaufsstelle geplant, in der maximal 1.000 volljährige Personen jeweils bis zu 50 Gramm Cannabis pro Monat kaufen können. Die Ware soll von einem Hersteller für medizinisches Cannabis bezogen werden, während die wissenschaftliche Begleitung in den Händen einer Universität läge, die insbesondere das Konsumverhalten der Teilnehmer und sonstige Auswirkungen des regulierten Vertriebs untersuchen will. Ein detailliertes Forschungskonzept soll nachgereicht werden, falls der Antrag grundsätzlich Aussicht auf Genehmigung hat. Doch davon kann aktuell keine Rede sein.

Formelle Einwände

Unter den 14 Punkten finden sich zunächst ein paar formale Mängel wie fehlende Nachweise und Angaben zu verantwortlichen Personen, die unschwer behoben werden können (Nr. 1). Das dürfte auch für die Konkretisierung des Forschungskonzepts gelten, das bei der Antragstellung nur grob umrissen wurde, aber für eine Genehmigung vorliegen muss. Soweit dann aber bei den Projektverantwortlichen des e.V. eine kaufmännische Berufsausbildung und eine „mindestens einjährige praktische Erfahrung im Arzneimittelverkehr“ vermisst wird, stellt sich die Frage, ob die in Bezug genommenen Vorschriften (§ 2 Abs. 4 S. 3 u. 5 KCanG i.V.m. § 7 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 3 MedCanG) beim Handeltreiben überhaupt anwendbar sind. Selbst wenn man dies annähme, übersieht die BLE, dass das Gesetz ausdrücklich Spielräume eröffnet (§ 7 Abs. 4 S. 1 MedCanG). Die Anforderungen sind nicht zwingend, sondern vielmehr kann die Behörde davon abweichen oder andere Nachweise für die Sachkenntnis verlangen; was sich insbesondere beim wissenschaftlichen Umgang mit Konsum- und gerade nicht Medizinalcannabis aufdrängt.

Ein anderer Vorhalt trifft die Antragsteller in diesem Zusammenhang dagegen zu Recht (Nr. 4): Der Antrag bezieht sich auch auf Cannabis zu medizinischen Zwecken, obwohl insoweit das MedCanG gilt und das BfArM zuständig ist. Wenn man sich allerdings auf Cannabis i.S.d. KCanG beschränkt, stellt sich die Frage, woher dies bezogen bzw. ob Medizinalcannabis im Rahmen von § 2 Abs. 4 KCanG insoweit umgewidmet werden kann.

Materielle Einwände

Schwerer wiegen die grundlegenden Bedenken, die deutlich machen, dass die „geänderte Risikobewertung“ (BT‑Drs. 20/8704, 68) noch nicht in der Verwaltung angekommen ist. Unzutreffend ist etwa, dass der Antrag „weit über das von der BLE im Rahmen der KCanWissZustV eröffnete Verwaltungsverfahren hinaus“ gehen würde (Nr. 2). Vielmehr sind sämtliche der erstrebten Umgangsformen bereits nach geltendem Recht erlaubnisfähig (insbesondere Handeltreiben und Erwerb). Die früher bei Modellprojekten einschlägigen Versagungsgründe (§ 5 Abs. 1 Nr. 4, 5 u. 6 BtMG) wurden bewusst nicht ins Cannabisrecht übernommen (§ 2 Abs. 4 S. 3 KCanG i.V.m. § 9 MedCanG) und dürfen nicht am Gesetz vorbei durch die Hintertür reaktiviert werden. Der Betrieb einer einzigen Ausgabestelle für maximal 1.000 Personen kann zudem schwerlich als Vorgriff auf die bundesweite Einführung regionaler Modellprojekte i.S.d. 2. Säule bewertet werden – nicht zuletzt, weil völlig unklar ist, ob diese jemals umgesetzt wird.

Bisweilen nimmt die Anhörung unfreiwillig komische Züge an, etwa wenn Zweifel an der Produktqualität geäußert werden, obwohl das Cannabis von einem staatlich überwachten Pharmaunternehmen bezogen werden soll (Nr. 5). Überaus spitzfindig wirkt die Beanstandung, die „Vorlage eines Lichtbildausweises“ sei nicht gleichbedeutend mit der Kontrolle des Alters (Nr. 6). Schon angesichts der empfindlichen Strafandrohung (§ 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 lit. a KCanG) werden die – von der BLE auf ihre Zuverlässigkeit geprüften – Projektverantwortlichen sich hüten, Cannabis an Minderjährige abzugeben. Aus demselben Grund erübrigen sich weitere Maßnahmen, die für sich genommen bereits strafbare Weitergabe von Cannabis oder Ansammlung unzulässiger Mengen zu verhindern (Nr. 11, 12 u. 13). Wenn der Staat zur Durchsetzung dieser Verbote sein „schärfstes Schwert“ schwingt, was wird von einem rechtstreuen Antragsteller dann noch zusätzlich erwartet?

Keine Rechtsgrundlage existiert schließlich für die Forderung, eine Beschreibung ausreichender Sicherung gegen die Entnahme von Cannabis vorzulegen (Nr. 10). Anders als in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 BtMG hat der Gesetzgeber in § 7 MedCanG im Zuge der „geänderten Risikobewertung“ bewusst davon abgesehen (BT‑Drs. 20/8704, 142). Daher genügt es, wenn während des späteren Umgangs geeignete Schutzvorrichtungen vorgehalten werden (§ 2 Abs. 4 S. 3 KCanG i.V.m. § 21 MedCanG). Notfalls kann die Behörde Sicherungsanordnungen treffen.

Ähnliches gilt für vermeintliche Mängel bei der Sicherung der Fahrzeuge (Nr. 9), wenn man bedenkt, dass schon heute täglich hunderte Kilogramm an Medizinalcannabis versendet werden, ohne dass von Überfällen auf Paketboten oder Warenlager zu lesen wäre. Eine angemessene Sicherung liegt schon wegen des Werts und zur Haftungsvermeidung im ureigenen Interesse aller Beteiligten. Im Übrigen könnte sich an § 22 Abs. 3 Nr. 2 KCanG angelehnt werden (verschlossenes Behältnis).

Prävention

Weitere Einwände betreffen die Gesundheit. Nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist die Kritik, dass der Antrag keine medizinischen Ausschlusskriterien zum Schutz vulnerabler Gruppen definiert, wie z.B. Schwangeren, oder eine hausärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung voraussetzt (Nr. 7). Zudem vermisst die BLE eine ärztliche Begleitung des Projekts. Mögliche Lücken können allerdings im Zuge der Konkretisierung des Forschungskonzepts noch geschlossen werden.

Ebenfalls beanstandet wird, dass der Antragsteller keine konkreten Maßnahmen vorgesehen hat, um Teilnehmer vom Erstkonsum abzuhalten (Nr. 8). Das verwundert, denn das Cannabisrecht kennt den Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG nicht. Ohnehin spricht das Projekt ausdrücklich erfahrene Konsumenten an. Insoweit wäre allenfalls an eine förmliche Beschränkung des Teilnehmerkreises zu denken.

Am Ende wird eine „ergebnisoffene“ Ethik-Prüfung verlangt (Nr. 14). Das ist nicht zulässig, weil weder § 2 Abs. 4 KCanG noch das MedCanG eine solche kennt, geschweige denn vorschreibt. Und das zu Recht, werden in dem Modellprojekt doch keine neuartigen Medikamente verabreicht oder invasive Eingriffe vorgenommen. An dem Projekt nehmen Erwachsene freiwillig teil, die ohnehin Cannabis konsumieren – bislang womöglich aus dubiosen Schwarzmarkt-Quellen. Ihnen einen kontrollierten Erwerb zu ermöglichen, lässt schon unter dem Gesichtspunkt der Harm Reduction keine ethischen Bedenken aufkommen. Das belegt der Blick in die Schweiz, wo vergleichbare Projekte bereits mit Erfolg durchgeführt wurden.

Tausende Erlaubnisse nötig

Am Ende bleibt jedoch ein gravierendes Problem. Denn die BLE verlangt wegen § 2 Abs. 4 S. 3 KCanG i.V.m. § 15 MedCanG zu Recht, dass alle Studienteilnehmer eine Erlaubnis für den Erwerb beantragen (Nr. 1). Eine Ausnahme von der Erlaubnispflicht für Probanden existiert bisher nur bei Medizinalcannabis (§ 5 Abs. 1 Nr. 5 MedCanG), sollte aber auch für § 2 Abs. 4 KCanG eingeführt werden. Bis dahin müssen also entweder die Studienteilnehmer zuvor gesucht werden oder der Antrag wird stufenweise gestellt: zuerst für die Projektverantwortlichen als Verkäufer und dann für die Teilnehmer als Käufer, bei denen im Anschluss praktisch nur noch das Alter zu prüfen ist. Unzutreffend ist insoweit die Rechtsauffassung der BLE, die Suche nach Teilnehmern sei als unzulässige Werbung einzustufen (Nr. 3). Eine Akquise zu Forschungszwecken ist offensichtlich nicht „kommerziell“ iSv § 6, 1 Nr. 14 KCanG.

Fazit

Auch wenn die Behandlung des Antrags der verbreiteten Behördenpraxis zu §§ 11 ff. KCanG ähnelt, ist zu hoffen, dass das Anhörungsschreiben eine Einzelauffassung aus dem Referat 512 („Absatzfördermaßnahmen, Wein“) und nicht eine generelle Linie der BLE widerspiegelt. Denn Modellprojekte sind bereits auf der Grundlage des geltenden Rechts erlaubnisfähig. Nur auf diese Weise können evidenzbasierte Erkenntnisse zum Konsum im regulierten Kontext gewonnen werden.

Über die Autoren

Dr. Marcus Geschwandtner ist Rechtsanwalt & Partner der Kanzlei Dr. Fandrich Rechtsanwälte, Bonn, Gesellschafter & Geschäftsführer der jmb growUp!consulting GmbH und Vorstandsvorsitzender des Circular Hemp e.V.

Dr. Sebastian Sobota ist Stellv. Direktor der Kriminologischen Zentralstelle (KrimZ) in Wiesbaden und forscht insbesondere zum Drogenstrafrecht. Er war mehrfach Sachverständiger in cannabisbezogenen Gesetzgebungsverfahren.

Beide sind Herausgeber und Autoren des neuen Beck-Kommentars „Geschwandtner/Graf/Sobota – Cannabisrecht (KCanG, MedCanG)“, in dem sie u. a. die Vorschriften zum Umgang mit (Medizinal-)Cannabis zu wissenschaftlichen Zwecken erläutern. Das Werk erscheint im Herbst 2025.